Fit für die Lesung: Gut bei Stimme?

Erkenntnisse aus dem Stimmtraining-Seminar

 

Warum Stimmtraining? Angemeldet habe ich mich aus zwei Gründen. Zum einen, weil wohlklingende Stimmen und die Technik des Sprechens mich faszinieren. Wahrscheinlich arbeitet deswegen in meinem New Adult Liebesroman "Playground Chess" Anett, die beste Freundin meiner Hauptprotagonistin Catrin, als Stimmcoach und Synchronsprecherin. Damals habe ich als Autorin ein bisschen in Richtung Coaching, Synchron- und Hörbuchsprechen recherchiert und finde das Thema nach wie vor so spannend, dass ich es ganz am Rande auch in meine Cosy-Krimireihe eingebaut habe. Zum Beispiel könnte Hobbydetektivin Rosa Fink die sonore Stimme des Nebencharakters Leander Graf unter Tausenden an ihrem Timbre und der kultivierten Sprechweise erkennen.

 

 

 

Ja, es gibt sie, diese besonders schönen Stimmen, die man angenehm findet, und die so charakteristisch sind, dass man sie, wenn es sich um eine Synchronstimme handelt, fest mit einem bestimmten Schauspieler oder einer Schauspielerin verbindet. Wenn die Synchronstimme wechselt, ist man total irritiert. Und das aus gutem Grund, denn: Die Stimme ist ebenso einzigartig wie der Fingerabdruck. Doch anders als der Fingerabdruck ist die menschliche Stimme wandelbar - was u. a. daran liegt, dass es nicht das eine "Stimmorgan" gibt, sondern vielmehr einen Stimmapparat. Manchmal wird der Kehlkopf als Stimmorgan bezeichnet, was aber nicht ganz korrekt ist. Bei der Stimm- und Lauterzeugung wirken viele verschiedene Organe zusammen. Doch dazu später mehr.

 

Zum anderen habe ich mich aus einem konkreten Anlass angemeldet. Im ersten Teil meiner Tipps zur Lesungsvorbereitung ging es ums Üben mit dem Text. Doch was, wenn sich bei den Sprachaufnahmen abzeichnet, dass die Stimme nicht so will wie gewünscht? Seit ich mir das Coroanvirus eingefangen habe, klingt meine Stimme heiserer und krächziger als zuvor. Inzwischen bin ich  genesen, aber diese unangenehme Omikron-Nachwirkung war auf meinen Sprachaufnahmen leider nicht zu überhören. Darum war ich motiviert, mehr darüber zu erfahren, wie die Stimme funktioniert, ob ich sie wieder geschmeidiger bekomme und falls ja, dann wie. Auf keinen Fall sollte aus der akuten eine chronische Heiserkeit als Langzeitfolge der Coronaerkrankung werden. Außerdem interessierte mich, was ich sonst noch stimmlich und sprechtechnisch optimieren könnte. Da kam das Kompaktseminar in Düsseldorf genau richtig.

 

Das Seminar "Erfolgsfaktor Stimme"

 

Die Dozentin, Ewa Latoszek, ist Profi in Sachen Stimm- und Sprechtraining, mit den Schwerpunkten Coaching und Kommunikation. Sie coacht insbesondere Menschen, für die ihre Stimme das berufliche "Kapital" ist, sei es, weil sie täglich Reden halten, viel telefonieren oder in Meetings überzeugend sprechen müssen. Ihre Kompaktseminare richten sich nicht nur an Führungskräfte, sondern an alle, die stimmliche Defizite erkannt haben und aktiv gegensteuern möchten. 

 

Die Zusammensetzung der Seminargruppe

 

Am Stimmseminar haben fünf Frauen - darunter ich - und ein Mann teilgenommen. In der Kleingruppe konnte die Dozentin auf jeden einzelnen eingehen und die Übungen individuell gestalten.

 

  1. Der einzige teilnehmende Mann, ca. Mitte 30, sprach leise, monoton, zudem undeutlich, da hastig und leicht nuschelnd. Auf ihn passte die Redensart: "Er kriegt die Zähne nicht auseinander". Seine Motivation: Deutlicher und energischer sprechen.
  2. Eine Teilnehmerin Anfang 20 sprach leise und stockend. Ihre Motivation: Lauter und flüssiger sprechen.
  3. Die Stimme einer Teilnehmerin Anfang 50, klang sehr hoch, jung und mädchenhaft - eher nach Praktikantin als nach einer gestandenen Journalistin mit langjähriger Berufserfahrung. Ihre Motivation: Tiefer und selbstbewusster sprechen.
  4. Eine Teilnehmerin Anfang 60 sprach mit starkem spanischen Akzent, laut und etwas schrill. Sie bekam oft das Feedback, ihre Stimme klänge "aggressiv". Ihre Motivation: Entspannter und weniger dominant sprechen.
  5. Eine Teilnehmerin Ende 20 hatte eine tiefe, angenehme Stimme, einzige Schwachstelle: etwas zu hauchig und ohne Obertöne. Ihre Motivation: Stimmpotenzial ausbauen.
  6. Die sechste Teilnehmerin war ich - mit der Motivation: meine Stimme für Lesungen fit machen.

 

Nach der Vorstellungsrunde lasen alle Teilnehmenden nacheinander denselben kurzen Text laut vor, die einzelnen "Kurzlesungen" wurden für eine Vorher-Nachher-Dokumentation aufgenommen.

 

Anschließend folgte der theoretische Teil. Die Dozentin erklärte, welche Organe im Zusammenspiel das "Stimmorgan" bilden:

  • das Zwerchfell als vorbereitendes Organ und - zusammen mit der Bauch- und Atemhilfsmuskulatur - die Atemstütze
  • der Kehlkopf als tonbildendes Organ, in dem sich u.a. die Stimmlippen befinden
  • die klang- und formgebenden Organe (Resonanzräume)

 

Unsere Stimme lässt sich mit einem Blasinstrument vergleichen, die Tonerzeugung ist mit dem Atmen verknüpft - und vom richtigen Atmen profitiert die Stimme. Die Dozentin nannte die Atmung professioneller Sprecher:innen Mundatmung,  was mich irritierte, da ich mit Mundatmung etwas Negatives assoziierte, z. B. Schnarchen mit offenem Mund, Erkältung etc. Gemeint war aber, dass Profis mit dem Mund ein- und ausatmen, wobei das Zwerchfell als Atemstütze aktiv ist. Wir übten die Technik mit einem speziellen Strohhalm und Silbensprechen, gefolgt vom Einsatz des Zwerchfells beim Hecheln, Zischen und kurzen, schnell hintereinander gesprochenen Wörtern, um das Zwerchfell zu "wecken".

 

Die Stimme in Form bringen

 

Wir hörten und sahen uns Beispiele für klare Aussprache an. Die anschließenden Übungen gegen eine heiser klingende Stimme und den "Frosch im Hals" waren für mich besonders interessant. Ich darf hier nicht alle Details nennen, da die Übungen von der Dozentin erarbeitet wurden. Es funktioniert jedenfalls mit dem übergangslosen Hintereinandersprechen von Konsonanten wie n, m, l, w, s etc. Gegen den Frosch im Hals hängt man an sss nacheinander langgezogene Vokale.

Den Unterkiefer lockern ist immens wichtig. Ein starrer Unterkiefer begünstigt eine gepresste, undeutliche, kraftlose Stimme. Von den Übungen profitierte besonders der Teilnehmer, der leise nuschelte und "die Zähne nicht auseinanderkriegte", weil der Unterkiefer so fest war. Wir übten mit speziell geformten Korken (keine Weinkorken, die sollte man nicht nehmen, u. a. wegen Schwefel etc.!), die Frau Latoszek individuell aussuchte. Jeder erhielt andere. Den männlichen Teilnehmer ließ sie mit zwei langen Korken üben, die er mit den Schneidezähnen festhalten musste, Ich bekam zwei kleine kegelförmige Korken* zugeteilt, die ich zwischen die Backenzähne klemmte. Es kostete schon Überwindung, so "gehandicapt" zu sprechen, vorzulesen und vorzusingen - aber als die ersten Hemmungen gefallen waren, machte es sogar Spaß.

 

* ... so klein und fragil, dass ich eben beim Üben zu Hause leider einen in zwei Teile zerbissen habe, Kann man nicht reparieren - tja, wo neue hernehmen? Bei der Dozentin bestellen wäre auf die Dauer ein teurer Spaß, wenn ich die nächsten auch so schnell zerbeiße. Was angeblich auch geht ohne gesundheitliche Bedenken, sind Korken von Bio-Weinen. Die haben natürlich nur die Standard-Form. Mal schauen, falls jemand einen Tipp hat, gern her damit!

 

Die Stimme hegen und pflegen

 

Dann ging es um Stimmhygiene, und ich erfuhr einiges, das mir wirklich neu war und das mich erstaunte. So dachte ich immer, Kräutertee (Kamille, Pfefferminze, Fenchel etc.) wäre gut für die Stimme - davon riet die Dozentin aber ab, u. a. wegen der adstringierenden Wirkung, die zu einem trockenen Mund führt. Gut geeignet sind Thymiantee und grüner Tee, auch schwarzer Tee und Kaffee, sofern nicht im Übermaß getrunken, schaden nicht. Durst mit Wasser löschen, ist klar. Kann auch Mineralwasser mit Kohlensäure sein, aber nicht vor und während einer Lesung oder Rede - da nur stilles Wasser. Teure angebliche Stimmerfrischer aus der Apotheke (z. B. Gelo-Revoice) enthalten teils Menthol, das ebenfalls aus Minze gewonnen wird und kontraproduktiv ist. Von der Wirksamkeit war die Dozentin nicht überzeugt und riet eher zu Thymian-Pastillen. Geschäftstüchtigerweise hat sie selbst welche im Angebot, die sogenannten Thymian-Perlen. Wir durften probieren und ich habe eine Dose gekauft. Kann ja nicht schaden, und bevor ich irgendwelche Hustenbonbons lutsche, kann ich es auch mal mit den Perlen versuchen. :)

Ich erinnere nicht mehr genau, was sie über Salbei sagte, aber Salbei wirkt ebenso wie Thymian antibakteriell und ich habe viele Berichte darüber gelesen, dass auch Salbeitee bzw. -bonbons (in Maßen) eingesetzt werden können.

 

Stimme und Aussprache: Vorher/Nachher

 

Abschließend lasen wir alle den Text noch einmal für eine Sprachaufnahme vor. Der Vorher-Nachher-Effekt war teils richtig krass!  Zu einem winzigen Teil kann es daran gelesen haben, dass wir den Text nun kannten und die Betonung daher leichter fiel - aber nun achteten wir auch auf unsere Atmung und wir kannten unsere Defizite.

 

Mein erster Lesedurchgang war gut, für die Dozentin nur ein klein wenig zu langsam. Mit dem zweiten Durchgang war ich 5 Sekunden schneller fertig. Ich persönlich fand Version 1 weicher und entspannter. Für Lesungen ist das meiner Meinung nach der passende Ansatz. Version 2 klang energisch und zackig - das wäre eine Verbesserung im beruflichen Kontext, wenn man etwas präsentiert oder ein Team überzeugen muss.

Die Teilnehmerin, die ihr Stimmpotenzial ausbauen wollte, lieferte ebenfalls zwei gelungene Lesungen - die Version 2 war eine Nuance melodischer und besser betont.

Dem teilnehmenden Mann gelang es, um Klassen langsamer, deutlicher und viel kraftvoller zu sprechen. Beim direkten Vergleich der Sprachaufnahmen mochte man kaum glauben, dass ein-und dieselbe Person sprach. Dasselbe galt für die Teilnehmerin mit der extrem mädchenhaften "lieben" Stimme, die in Version 2 deutlich selbstbewusster wirkte und wie eine erwachsene Frau klang, für die junge Teilnehmerin mit der viel zu leisen Stimme, die eine wesentlich bessere Version 2 einsprach, und für die Frau mit der schrill-dominanten Stimme, der eine ruhigere, angenehmere Version 2 gelang.

 

Positives Fazit nach dem Stimmtraining-Seminar

 

Im Kompaktseminar haben wir einen kleinen Teil der Grundlagen gelernt, mit deren Hilfe wir unsere Stimme und Artikulation weiter  trainieren können. Denn nach dem Seminar beginnt erst die eigentliche Arbeit. Man muss am Ball bleiben, regelmäßig üben - mindestens 2-3 x pro Woche jeweils eine Stunde, vergleichbar mit Fitnesstraining im Studio. Nach ca. drei Monaten wird die Stimme sich verändert haben: weicher oder engergischer, lauter oder leiser, deutlicher, melodischer, wandelbarer ... je nach Ausgangsbasis und Zielsetzung.  Unterstützend erhielten wir weitere digitale Übungsmaterialien: ein detailliertes Handout, ein Buch mit vertiefenden Infos und die Hördatei "Was tun bei Heiserkeit" zum Üben (3,5 Minuten-Übung).  Bin sehr zufrieden mit dem Seminar, habe viel gelernt und hoffe, dass ich davon für Lesungen profitiere!

 

Stimme, Stimmtraining und Sprechen: Links zu werbefreien informativen Seiten

 

Menschliche Stimme - Wikipedia

Stimmtraining - Wikipedia

Stimmbildung - Wikipedia

Sprechen - Wikipedia